Die Sozialorganik begreift die Wirtschaft als sozialen Organismus:  alle Organe eines Unternehmens greifen zusammen und dienen so dem unternehmerischen Zweck, dem Unternehmenspurpose. Neben diesem ist das im Unternehmen vorherrschende Menschenbild relevant: der Mensch wird als schöpferisches und freies Wesen verstanden. Durch sein Handeln gestaltet er das Unternehmen und das Marktgeschehen aktiv mit. Damit sind nicht nur die Mitarbeitenden gemeint, sondern auch Zulieferer oder Kunden. Sie alle tragen zu dem Gelingen des Unternehmens bei. So weit, so gut. Doch wie wird dies im Unternehmen konkret umgesetzt?

Die Wertbildungsrechnung

Sind der Purpose des Unternehmens oder auch die Form der Zusammenarbeit mit mitunter blumigen Worten zu beschreiben, wird im Wirtschaftsleben mit Zahlen hantiert, um Leistungsströme sichtbar zu machen. Wie kann der Umgang mit Zahlen und „harten Fakten“ so übersetzt werden, dass auch jeder Mitarbeitende seinen Nutzen daraus ziehen kann und seinen Beitrag für das Ganze erkennen kann? Ein Ansatz dafür ist das Tool der Wertbildungsrechnung (WBR). Es handelt sich dabei um ein Steuerungs- und Führungsinstrument des internen Rechnungswesens und stellt die Leistungsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und –empfängern dar. Ziel des Tools ist es jedoch, die Mitarbeitenden über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg über alle relevanten Faktoren der Wertschöpfung zu informieren.

In klassischen Unternehmen werden über eine Budgetplanung Ziele von oben festgelegt. Diese unterstehen zumeist einer umsatzbezogenen Gewinnorientierung, insbesondere auch wenn Stakeholder involviert sind. In größeren Unternehmen mit mehreren Standorten oder Filialen führt dies dazu, dass die Zentrale alle Vorgänge zentral steuert und delegiert. Dies kann unter Umständen an den Bedarfen und Besonderheiten von Filialen vorbei geschehen und sorgt somit nicht für eine effiziente Nutzung aller Ressourcen. Das reine Erzielen von Gewinn sagt weiterhin auch nichts über die Höhe der Wertschöpfung, das Entstehen sinnvoller und ansprechender Produkte oder der Qualität der Leistungen aus.

Die Wertbildungsrechnung hingegen fördert eine Eigenverantwortlichkeitskultur, die die Arbeitseinheiten oder Filialen empowered und funktioniert somit bottom-up. Sie möchte ein Abbild der Qualität der unternehmensinternen Zusammenarbeit geben, indem Transparenz über Prozesse und Eigenleistungen ermöglicht werden soll. Jede Arbeitseinheit des Unternehmens hat somit die Möglichkeit, den eigenen Anteil am Unternehmenserfolg zu beurteilen und ihn gegebenenfalls in eigener Verantwortung zu verbessern.


Sie sorgt somit also für eine Dezentralisierung und ermöglicht Flexibilität in den jeweiligen Filialen. Diese Flexibilität sorgt wiederum dafür, dass das einzelne Team, aber auch der einzelne Mitarbeitende, selbstständig und intelligent im Sinne des Ganzen handeln kann.  Sie löst damit die in Unternehmen oft vorhandene klassische Hierarchiepyramide ab und ersetzt sie durch eine Netzstruktur, die viele Mitarbeitende ermächtigt und befähigt, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Dafür müssen natürlich auch die Voraussetzungen im Unternehmen geschaffen werden und das Wertbildungsrechnungstool muss allen jederzeit zugänglich sein.

Die Wertbildungsrechnung hilft so, sich Prozessströme im Unternehmen deutlich und verständlich zu machen. Anstelle starrer Zielvorgaben werden die zur Erreichung von Zielen notwendigen Prozesse sichtbar, die dann wiederum von der jeweiligen Arbeitseinheit optimiert werden können. Dieser Vorgang  ist durch ein gemeinsames Verständnis von Zielen und Wirkungszusammenhängen der Festlegung von Zielen quasi vorgelagert.

Mit dem Ziel unternehmensinterne Transparenz herzustellen, ist die Wertbildungsrechnung einfach und verständlich aufgebaut, sodass keine expliziten Controlling- oder Buchhaltungsfähigkeiten vonnöten sind, um die relevanten Informationen nachzuvollziehen.

Der Aufbau der Wertbildungsrechnung

Der Aufbau der Wertbildungsrechnung ist sehr schlicht gehalten: Wenn möglich sollen alle relevanten Informationen auf einem Excel-Sheet abgebildet werden können. Die verschiedenen Wertströme werden aufgegliedert in Fremdleistungen, Vorleistungen und Eigenleistungen sowie der Wertschöpfung. Fremdleistungen beinhalten dabei externe Dienstleistungen wie die abgeschlossene Telekommunikationsanschlüsse, Logistik oder Verbrauchsmaterialien. Vorleistungen bezeichnen hingegen die internen Dienstleistungen wie beispielsweise die IT oder die Hausmeisterei. Durch die Zuordnung zu den zwei Polen werden interne und externe Leistungsbeziehungen deutlich gemacht. Weiterhin wird auch deutlich gemacht, dass auch intern Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden. In gewissem Sinne werden Kollegen somit zu Kunden dieser Dienstleistungen. Die Eigenleistungen beinhalten Posten wie Einkommen, Reisekosten oder Investitionen. Die Wertschöpfung hingegen besteht aus den Einnahmen der Leistungen eines Unternehmens. Leistungen werden so sichtbar gemacht, können in Bezug zu den Einnahmen gesetzt werden und können so auf ihre Qualität und Sinnhaftigkeit hinterfragt werden. Miteinander verrechnet ergibt sich dann die Entschuldung (oder Verschuldung) des Unternehmens.

Wie deutlich geworden ist, arbeitet die Wertbildungsrechnung mit anderen Begrifflichkeiten, als das klassische Controlling. Mitarbeitereinkommen werden beispielsweise als Eigenleistungen bezeichnet und stellen somit keine zu minimierenden Kosten dar. Vielmehr sind sie maßgeblich an der Entstehung von Unternehmensleistung beteiligt. Hier wird deutlich, wie die Wertbildungsrechnung mit dem sozialorganischen Menschenbild korrespondiert. Der Mitarbeitende wird als für das Unternehmen wertvoll, sein Arbeitsbeitrag als wertsteigernd betrachtet. Der einzelne Mensch wird in seiner Eigenverantwortlichkeit und auch seiner Individualität gestärkt und lernt über das Nachvollziehen der Wertbildungsrechnung, zunehmend unternehmerisch zu denken. Dies ist insbesondere in unserer sich immer schneller wandelnden Welt von Vorteil, in der Mitarbeitende oft flexibel und schnell handeln müssen und sich neuen Situationen schnell anpassen müssen. Sie helfen so auch dem Unternehmen, sich zu transformieren und im globalisierten Wettbewerb wettbewerbsfähig zu bleiben. 

Die Wertbildungsrechnung wurde bei dm-Drogerie Markt entwickelt und wird dort seit Beginn der 1990er Jahre genutzt. Davon inspiriert wurden auch Alnatura, tegut oder die Weleda AG, die ebenfalls eine unternehmensindividuelle Form der Wertbildungsrechnung nutzen.
Die Wertbildungsrechnung ist somit ein operatives Instrument, welches das sozialorganische Menschenbild unternehmensintern fördert. Sie bildet damit einen essenziellen Baustein der sozialorganischen Unternehmensführung.

Das Institut für Sozialorganik, das an die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft angegliedert ist, widmet sich der Erforschung der Sozialorganik und ihrer speziellen Ausprägung in der Wirtschaft. Am 22.04.21 veranstalten wir von 14:00 bis 17:30 Uhr die Online-Werkstatt  „Die Wertbildungsrechnung in der Praxis: Mit der Gegenstromrechnung Leistungsprozesse begleiten“. Neben einem theoretischen Input zur Wertbildungsrechnung und ihrer Verwendung in Unternehmen erfahren wir etwas über die Anwendung der Wertbildungsrechnung bei Alnatura sowie das für einen Einsatz der Wertbildungsrechnung wichtige Mindset, um die Wertbildungsrechnung wirklich begreifen zu können.  
Weitere Informationen sowie Tickets zu der Veranstaltung finden Sie unter: https://www.xing-events.com/Wertbildungsrechnung21.html


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