Purpose ist zum Buzzword geworden – es klingt großartig und eigenwillig, verspricht Innovation, zufriedene Mitarbeiter und mehr Produktivität. Doch was ist Purpose genau und wie lässt er sich fassen?

Der Mensch hat einen freien Willen. Mit diesem kann er entscheiden, wie er handelt, wann er handelt und warum er handelt. Er hat somit die Entscheidung darüber, welche Richtung, welchen Zweck er seinem Leben gibt. Er kann sich entscheiden, einfach zu sein und sich durch das Leben treiben zu lassen. Oder er entscheidet sich, einer Vision zu folgen, die ihn zum authentischen Handeln motiviert und die die Welt ein kleines bisschen besser machen möchte.

Wichtig ist jedoch die Entscheidungsfähigkeit des Menschen: nur er kann und muss seinen eigenen freien Willen bewusst und aktiv setzen.

Während sich der Mensch also aussuchen kann, ob er einem Sinn gemäß handeln möchte oder nicht, ist dies bei Unternehmen anders. Unternehmen sind künstlich erschaffene Gebilde, sie würden also nicht ohne uns entstehen und brauchen deshalb notwendigerweise eine Vision, die ihre Existenz legitimiert. War der Sinn und Zweck kleiner Betriebe früher noch evident (die Versorgung seiner selbst sowie des näheren Umfelds mit lebenswichtigen Gütern), so ist dies heute nicht mehr der Fall.

Die Industrialisierung führte durch das Gedankenkonstrukt des Utilitarismus einerseits zu verbesserten Lebensbedingungen und höheren Lebensstandards, andererseits führte sie jedoch auch zu einer Entfremdung der Gesellschaft von der Natur sowie der Entfremdung von Arbeit und den letztendlich hergestellten Produkten.  In Folge dessen wurde alles Leben und Handeln einer Produktivitätslogik unterstellt, die geistige und damit nicht messbare Alternativen ausschließt oder sie zumindest in das diffuse Feld von Religion oder Esoterik drängt. So schreibt der Philosoph Charles Taylor die Menschen stürzten sich

kopfüber in ihr homogenes Universum der rationalen Berechnung“

– auf Kosten von Kreativität, Innovation und  vor allem auch Spiritualität (hier verstanden in einem sehr un-esoterischen Sinne).

Und somit maximieren Unternehmen heute als Aktiengesellschaften nicht mehr den Nutzen ihrer Kunden, sondern den Gewinn ihrer Aktionäre.

Purpose als Gegenentwurf zum Utilitarismus

Der heute so prominent gewordene Begriff des Purpose, der allenthalben gesucht wird, stellt einen radikalen Gegenentwurf zu einem reinen Utilitarismus dar. Hat ein Unternehmen einen Purpose, arbeiten die Mitarbeiter nicht mehr ausschließlich für ihren Lohn und den daraus ermöglichten Konsum, sondern für die verspürte Leidenschaft beim Handeln für höhere Motive.

Doch was genau ist der Purpose eines Unternehmens? Wie kann er gefasst und definiert werden? Woran richtet er sich aus?

Jemand, der mit Purpose zu begeistern weiß, ist Autor und Unternehmensberater Simon Sinek. Er stellte in seinem TED Talk „How Great Leaders Inspire Action“ anhand des von ihm entworfenen Modells des „Golden Circle“ dar, warum Unternehmen wie Apple oder Personen wie Martin Luther King Erfolg haben und kommt zu dem Schluss:

„people don’t buy what you do, they buy why you do it“.

Die Frage nach dem Warum steht somit vor der Frage nach dem Was (Produkt) oder dem Wie (Arten des Zusammenarbeitens und der Führung). Purpose ist also etwas, das Menschen und Unternehmen aus intrinsischer Motivation hervorbringen möchten, etwas, das eine Innovation darstellt und somit ein Alleinstellungsmerkmal definiert.

Gleichzeitig fordern immer mehr Mitarbeiter einen Sinn in ihrer Tätigkeit. Sie suchen nach dem Menschlichen in der Wirtschaft, möchten wieder praktisch tätig werden und Gemeinschaft erleben.

Unsere Wirtschaft unterliegt einem stetigen Wandel und richtet sich permanent neu aus. Heute scheint es, als würde das Paradigma des unbegrenzten Wachstums und Wohlstandes langsam aber sicher widerlegt und abgelöst. Der Klimawandel ist nicht mehr nur ein abstrakter Fakt, sondern beobachtbare Tatsache und es wird offensichtlich, dass Ressourcen begrenzt und aufbrauchbar sind. Die Folgen unseres (unternehmerischen) Handelns werden sichtbar und beeinflussen uns (und unsere Nachkommen) konkret.

Wenn der Purpose des Einzelnen die Vision ist, die Welt auch immer ein Stückchen besser zu machen, wäre es der Purpose eines Unternehmens, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die dem Menschen, der Gesellschaft und der Umwelt auf nachhaltige Art und Weise dienen. Der Purpose würde dabei anstelle kleinschrittiger und konkreter Zielvorgaben die große, übergeordnete Vision formulieren. Der wirtschaftliche Wandel muss somit konsequenter Weise durch neue Formen des Zusammenarbeitens ergänzt werden.

Der Purpose als intrinsische Motivation und übergeordnete Bezugsrahmen

Immer mehr Mitarbeiter fordern eine Unternehmenskultur, die auf Eigenverantwortung und Mitbestimmung setzt und Denken und Handeln außerhalb althergebrachter Muster ermöglicht. Dieses Denken und Handeln ist ergebnisoffen und damit empfänglich für Innovation. Die Ausrichtung nach der gemeinsam geteilten Vision definiert dabei den Weg und das Ziel eines Unternehmens bei flachen Hierarchien. Es entsteht Transparenz, das Unternehmen wird zu einer authentischen und ehrlichen Marke – vorausgesetzt, der Purpose entstand intrinsisch. Er kann nicht von außen vorgegeben werden, sondern muss individuell, problemorientiert sowie zukunftsweisend sein und klar auf den Punkt gebracht werden können, dabei jedoch anerkannten Werten entsprechen.

So weit so unklar. Offensichtlich ist nur, dass die Definition eines eigenen Purposes immer noch eine vage und damit schwere Aufgabe bleibt. Wie definiert man sein Tätigkeitsfeld? Wie bricht man es auf einen Slogan herunter, der all die oben genannten Kriterien erfüllt? Insbesondere bei einem bereits bestehenden Forschungsinstitut wie dem Institut für Sozialorganik?

Die Suche nach dem Purpose im Institut für Sozialorganik

Die Sozialorganik betrachtet Wirtschaft als einen sozialen Organismus, der sich Ziele und Sinn immer wieder selbst geben muss, damit er seine lebendige, agile und selbstständige Form beibehalten kann und seine Mitglieder befähigt werden, eigenmächtig, aber im Sinne des Ganzen, zu handeln.

Da diese Beschreibung jedoch immer noch sehr ungenau ist, haben wir im Team in einem ersten Schritt definiert, was Sozialorganik alles nicht ist. Dinge, theoretische Strömungen oder ökonomische Praktiken also, von denen wir uns inhaltlich abgrenzen. In einem nächsten Schritt konnten wir so entgegengesetzte, eigene Standpunkte formulieren, diese gruppieren und zusammenfassen.

Dabei herausgekommen ist allerdings kein kurzer und prägnanter Slogan. Eher eine geclusterte Ansammlung von Begriffen.

Klar geworden ist uns jedoch: der freie (also der durch das Denken bewusst handelnde) Mensch steht in unserer Betrachtung im Mittelpunkt. Er ist ganzheitlich in all seinen Facetten zu betrachten und zu behandeln.

Als Institut des Fachbereichs Wirtschaft fokussieren wir uns jedoch vermehrt auf den ökonomischen Bereich. Beispielsweise auf die Arbeit, in der der Mensch Motivation durch Sinn erfährt und durch Arbeitsteilung zum altruistischen Handeln geleitet wird. Auf kollektiver Ebene führt dies zu einer Wirtschaft, in der im Miteinander vieler freier Menschen gewirtschaftet wird.

Gewinn wird holistisch betrachtet und ergänzt den Nutzen des Unternehmens durch den Nutzen für die Gesellschaft und reduziert ihn durch die kollektiven Kosten nicht nachhaltigen Handelns.

Ausgehend von unserem sozialorganischen Menschenbild müssen Arbeit und Wirtschaft also neu gedacht werden. Weiterhin konnten wir über Unklarheiten, die im Prozess der Formulierung unserer Standpunkte auftraten, neue Forschungsfelder des Instituts definieren, denen wir uns alsbald widmen werden.

Interessanter Weise gleicht dieses Vorgehen der charakterisierenden Methode Rudolf Steiners, der gedanklich ein Tuch über die zu charakterisierende Begrifflichkeit legte, welches dann anhand der Beobachtung an vielen Ecken und Kanten fixiert werden sollte, sodass die Gestalt des Begriffs immer deutlicher zu Tage träte. Ein solcher Begriff ist nie fertig definiert, sondern bleibt lebendig und ist der ständigen Veränderung unterworfen.
Ein Glück, denn so bleibt auch die Arbeit des Instituts für Sozialorganik lebendig und spannend!


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